Wie reduziert man Stress in Notsituationen?

Veröffentlicht am 2. February 2023. Lesedauer 9min

Eine Versorgung direkt am Unfallort wird häufiger benötigt als man denkt. Im Jahr 2017 wurden von den deutschen öffentlichen Rettungsdiensten über 16 Millionen Einsätze durchgeführt. Damit benötigte durchschnittlich jeder fünfte Bürger die medizinische Hilfe eines Rettungsdienstes. Und dabei sind nicht immer nur uns fremde Menschen betroffen. Die meisten Unfälle passieren statistisch gesehen im Haushalt. An dem Ort, wo wir meistens von Freunden und Familie umgeben sind. Diesen Menschen möchten wir in einer stressigen Notsituation selbstverständlich helfen und der einzige Fehler, den wir dabei machen können, ist nichts zu tun. Wichtig dabei ist, in der Notsituation den Stress zu reduzieren, ruhig zu bleiben und einen klaren Kopf zu behalten. Aber wie macht man das am besten?

Was ist Stress?

Wenn ein Notfall passiert und wir schnell handeln müssen, empfinden wir in dieser Situation vor allem eines: Stress. Doch was ist das eigentlich genau? Und was passiert in unserem Körper, wenn wir Stress empfinden? Stressige Situationen wirken sich sowohl auf unseren Körper als auch auf unsere Psyche aus. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei Arten:

Positiver Stress (Eustress): beschreibt das, was viele als Vorfreude oder Aufregung bezeichnen. Positiver Stress macht uns leistungsfähiger. Man empfindet ihn beispielsweise bei einem Sportereignis, kurz bevor das Startsignal erklingt.

Negativer Stress (Distress): beschreibt Sorgen, Ängste oder Verzweiflung, aber beispielsweise auch das Gefühl ständig verfügbar sein zu müssen. Man empfindet negativen Stress beispielsweise bei überfordernden Aufgaben oder aufgrund einer Erkrankung. Dauerhafter Distress kann krank machen.

Ganz klar trennen kann man positiven von negativem Stress allerdings nicht. Denn auch Eustress, kann bei längerer Dauer letztendlich zu Distress werden.

Wie reagiert der Körper auf Stress?

Geraten wir in eine Notfallsituation setzt unser Körper verschiedene Prozesse in Gang. Dabei spielen vor allem unser vegetatives Nervensystem und unsere Hormone eine entscheidende Rolle. Wird eine Situation vom Gehirn als stressig oder gefährlich eingestuft, aktiviert unser Körper den Sympathikus. Dieser Teil des Nervensystems ist für eine Leistungssteigerung verantwortlich. Außerdem reguliert er indirekt die Ausschüttung verschiedener Hormone. Eine besondere Rolle spielen hier die Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol. Insgesamt versetzt der Körper sich dadurch in Alarmbereitschaft. Der Blutzuckerspiegel und Blutdruck steigen, die Atemfrequenz nimmt zu und die Funktionen der nahrungsverdauenden Organe werden reduziert. Um den Körper anschließend wieder zu beruhigen, wird danach das Hormon DHEA (Dehydroepiandrosteron) ausgeschüttet. Ist jemand einem dauerhaft hohen Stresslevel ausgesetzt und schafft es nicht dem Körper beispielsweise durch Entspannungsmethoden oder Sport einen Ausgleich zu bereiten, schüttet der Körper kontinuierlich Kortisol aus, was Krankheiten begünstigen kann. Menschen, die unter Dauerstress stehen haben also ein erhöhtes Risiko zu erkranken. Häufig kommt es zu psychischen Erkrankungen wie Burnout oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck, was einen Herzinfarkt begünstigen kann. Wie genau man bei einem Herzinfarkt am besten hilft, bringen wir Dir gerne in einem unserer Erste-Hilfe-Kurse bei. Aber auch Magen-Darm-Erkrankungen, Diabetes mellitus oder Muskelverspannungen als Ursache von Kopfschmerzen können Folge von zu viel Stress sein. Viele Symptome der Krankheiten kann man schon in akuten Stresssituationen erkennen. Auch, wenn sie dann häufig noch nicht schädlich oder krankhaft sind, sondern sogar eine leistungssteigernde Wirkung haben können. Findet man sich unvorbereitet in einer Notfallsituation wieder, bemerkt man häufig Zittern, einen beschleunigten Herzschlag, vermehrte Schweißproduktion oder eine hohe Muskelanspannung am gesamten Körper.

Wie reduziert man Stress?

„Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Vorstellungen und Meinungen von den Dingen.“

Dies erkannte schon der griechische Stoiker und Philosoph Epiktet. Wie wir mit Stresssituationen umgehen, wird von unserer Persönlichkeit, unserem Lebensstil und der Umwelt beeinflusst. So nimmt jeder Mensch eine Situation als unterschiedlich stressig wahr. Vielleicht ist Dir schon mal in einer Prüfungssituation aufgefallen, dass Du die Situation ganz anders betrachtet hast als Deine Mitschüler. Für wie stressig wir eine Situation einschätzen und wie wir reagieren, hat sich im Laufe unseres Lebens durch das Verhalten unserer Mitmenschen und durch eigene Erfahrungen geprägt. Von ihnen lernen und entwickeln wir Werte und Verhaltensmuster, die bestimmen, wie stressanfällig wir sind. Positiv denkende Menschen sind daher weniger stressanfällig als Pessimisten. Wie wir eine Situation wahrnehmen, hängt also entscheidend von unseren Gedanken ab. Stress bewältigt man am besten, indem man selbstkritisch hinterfragt, was der stressauslösende Faktor (Stressor) ist. Anschließend kann man versuchen, seine Einstellungen und Wertungen gegenüber der Situation zu hinterfragen und diese neu zu bewerten. So können Bedrohungen auch als Herausforderungen betrachtet werden. Es lohnt sich also, in stressigen Situationen kurz innezuhalten und die Lage objektiv zu reflektieren. Im Anschluss weiß man dann meistens besser, was zu tun ist. Ist man sich der Lage wieder bewusst, kann es auch helfen, um Unterstützung zu bitten, um den eigenen Stresspegel etwas zu senken. Am Unfallort ist es dabei sinnvoll, gezielt Aufgaben an umstehende Personen zu verteilen. So kann ein Ersthelfer die Unfallstelle absichern, während jemand anderes den Rettungsdienst verständigt und ein dritter beispielsweise schon mit der Herz-Lungen Wiederbelebung beginnt. Wie diese funktioniert, kannst Du gerne in einem unserer Erste-Hilfe-Kurse erlernen.

Wie kann man für den Notfall vorsorgen?

Eine Situation nehmen wir vor allem dann als stressig wahr, wenn wir das Gefühl haben, der Herausforderung, die an uns gestellt wird, nicht gewachsen zu sein. Je größer die Herausforderung uns, abhängig von unserem Leistungsvermögen, erscheint, desto mehr Stress empfinden wir. Je besser man also auf eine Situation vorbereitet ist und je sicherer man sich in seinem Handeln ist, desto weniger gestresst ist man im Notfall. Dadurch lassen sich Fehler vermeiden und man kann entspannter bleiben. Findet man sich also plötzlich in einer Notsituation wieder und muss unverhofft Erste Hilfe leisten, wünscht man sich oft, dass man sein Wissen regelmäßig aufgefrischt hätte. Für den Fall, dass Du in Zukunft Ersthelfer in einem Notfall werden solltest, kannst Du dein Wissen gerne bei uns im Kurs auffrischen. So bist Du allzeit perfekt auf Notfallsituationen vorbereitet, weist genau, was zu tun ist, kannst ruhig bleiben und einen klaren Kopf bewahren.

Welche Methoden zur Stressbewältigung gibt es?

Muss man plötzlich in einer Notfallsituation Erste Hilfe leisten und hatte im Vorfeld keine Zeit, sich in einem Kurs darauf vorzubereiten, gibt es weitere Techniken, die helfen können, in so einer Situation ruhig zu bleiben und den Stress zu reduzieren.

Atemtechniken:
So kann es beispielsweise helfen, langsam und kontrolliert zu atmen. Um sich zu beruhigen, atmet man dabei am besten in normalem Tempo ein und versucht so langsam wie möglich auszuatmen. Es kann helfen, die Lippen leicht aufeinanderzudrücken und gegen diesen leichten Druck auszuatmen, um das Tempo zu verlangsamen. Diese Technik wird oft auch als Lippenbremse beschrieben. Durch diese Atemtechnik schafft man es, den Körper zu beruhigen und Stress zu reduzieren. Eine weitere Möglichkeit ist die tiefe Bauchatmung. Dabei legt man am besten beide Hände auf den Bauch und atmet tief durch die Nase ein und durch den leicht geöffneten Mund aus. Die Hände dienen als taktiler Reiz, um gezielt in den Bauch zu atmen. Diese Atemtechniken senken die Atemfrequenz, den Puls und senken die Aktivität des Sympathicus.
Auf dem Bild ist eine Frau zu sehen, die die Lippenbremse praktiziert.


Achtsamkeitstraining:
Eine weitere Möglichkeit sich in einer Notfallsituation zu beruhigen ist Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR). Dies ist eine Methode des Achtsamkeitstrainings. Dabei geht es darum, den Moment aufmerksam wahrzunehmen und die Gedanken nicht zu bewerten. Man nimmt die aktuelle Situation bewusst wahr und akzeptiert diese. Die MBSR wird normalerweise über einen längeren Zeitraum in Gruppenstunden durchgeführt, man kann einzelne Übungen jedoch auch isoliert durchführen. In einer akuten Notfallsituation eignet sich dafür vor allem die achtsame Körperwahrnehmung (Body Scan). Dabei geht es darum, den eigenen Körper ganz bewusst wahrzunehmen. Man konzentriert sich nacheinander auf alle Körperteile von den Füßen bis zum Kopf und spürt bewusst in sich hinein. Dadurch lassen sich die Stresssymptome reduzieren.

Anker-Methode:
Die Anker-Methode kommt aus dem Neurolinguistischen Programmieren (NLP) und ist eine Reiz-Reaktionsverknüpfung. Das bedeutet, dass ein bewusst gesetzter Reiz mit einer positiven Emotion verankert wird. Ziel ist es, dieses Gefühl bei Bedarf jederzeit abrufen zu können. Um einen Anker zu setzen, erinnert man sich an eine Situation, deren Gefühl man gerne verankern würde. Beispielsweise an einen Moment, in dem man besonders gelassen war oder stolz, da man eine schwierige Situation gemeistert hatte. Während man versucht, sich so genau wie möglich an diese Situation zu erinnern, drückt man für acht bis zehn Sekunden eine Körperstelle. Besonders gut eignen sich dafür Körperstellen an der Hand oder dem Arm, da man diese zu jeder Zeit gut erreichen kann, um den Anker auszulösen. Dadurch werden beide Neuronen-Systeme an der Druckstelle und die positive Erinnerung im Gehirn gleichzeitig aktiv und die Synapsen zwischen ihnen werden gestärkt. Je mehr Sinneseindrücke, Emotionen und Wiederholungen beim Ankersetzen beteiligt sind, desto effektiver wird der Anker. Die Emotion der Erinnerung wird also mit dem Drücken der Körperstelle verbunden und ein Anker wird gesetzt. Später reicht es dann, nur ein Neuronen-System zu aktivieren, da die andere dadurch automatisch aktiviert wird. Daher wird diese Vorgehensweise auch als Assoziationsbrücke oder Affektbrücke bezeichnet. Diesen Vorgang wiederholt man über einen längeren Zeitraum so oft, bis sich das Gefühl beim Drücken der Körperstelle erzeugen lässt. Je länger es her ist, dass der Anker gesetzt wurde, desto schwächer wird die Intensität. Man kann allerdings „nachankern“, um den Effekt aufrecht zu erhalten. Man hat also die Chance Stresssituationen, die im Training oder einer anderen stressigen Situation gut gemeistert wurden, mit Ankern zu verbinden, um in einer echten Notfallsituation darauf zurückgreifen zu können. Da das Körpergedächtnis sich das dazugehörige Gefühl abgespeichert hat, wird man so im Ernstfall automatisch ruhiger, wenn der Anker dementsprechend eingestellt ist.

Fazit:
Zusammenfassend kann man also festhalten, dass Stress uns in allen Lebenslagen immer wieder begegnet. Egal ob im Haushalt, auf der Arbeit, in der Freizeit oder im Straßenverkehr. Es kann jederzeit passieren, dass wir Beteiligte einer Notfallsituation werden. Wie wir eine stressige Notfallsituation wahrnehmen, wird maßgeblich von unseren Gedanken beeinflusst. Werden wir unvorbereitet in eine Notfallsituation geworfen, gibt es verschiedene Techniken, durch die wir unseren Körper wieder beruhigen können. Die beste Methode in einer Stresssituation Ruhe zu bewahren ist allerdings, indem man sich darauf vorbereitet, zum Beispiel durch das regelmäßige Auffrischen der lebensrettenden Sofortmaßnahmen in einem Erste-Hilfe-Kurs.

Also worauf wartest du noch?
Du hast jetzt die Chance dich darauf vorzubereiten, im Notfall Ruhe zu bewahren!